Samstag, 8. April 2017

Die erstaunlichen Langlebigkeit eines Fakes

Warum begann Rainer Friedrich Meyer, so fragt er sich, "überhaupt mit dem Buchwörterbuch? Als ich vor neun Jahren das Handbuch des Verbandes deutscher Antiquare durchblätterte, traf ich auf Michael Trenkles „Fachbegriffe im Antiquariat. Ein Glossar“, und dort unter „Alinea, Alineazeichen“ auf die bemerkenswerte Passage: „In der Frührenaissance war ein Zeichen in der Form eines Blatts (das Aldus-Blatt, nach Aldus Manutius d. Ä. 1449-1515) beliebt.“
Dieser kritiklos übernommene Unfug hat sich bis in die neueste Auflage retten können. [...] die Tatsache, daß Fehlinformationen jahrelang weitergeschleppt wurden, hat mich inspiriert, es selbst zu versuchen.
Doch falls Trost darin zu finden sein sollte, die deutsche Wikipedia fällt auch darauf herein: „Das Aldusblatt ist eine Ornamentform, welche nach dem italienischen Buchdrucker und Verleger Aldus Manutius benannt ist. Dieser verwendete das herzförmige Blatt als Schmuck in seinen Büchern.“ Und: „Bereits in frühgriechischen Inschriften ist das Aldusblatt zu finden. In der Frührenaissance wird es als Alineazeichen, als Einleitungszeichen für einen Absatz verwendet. Durch seine häufige Verwendung bei Aldus Manutius fand es im 16. Jahrhundert eine noch größere Verbreitung als Schlussstück für eine Textpassage oder zur Zierde von Titelblättern.“
Hofft man nun auf einen Beleg in Gestalt eines Bildes aus einer Aldine, so hofft man vergebens. Zur Illustration dienen nur andere Textseiten [...].
Einer ebenfalls gewagte Hypothese, das Blättlein sei auf den Aldinischen Einbänden verwandt worden, sei nur entgegnet: Es gab sie nicht, die Aldinischen Originaleinbände, auch wenn Hans Loubier in „Der Bucheinband von seinen Anfängen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“ (2. Aufl., Leipzig, 1926) auf Seite 153 von „Arabesken, die in Delphine auslaufen“ träumt und „goldene Lindenblättchen, die sogenannten Aldus-Blätter“ auf solchen Originaleinbänden zu erblicken vermeint."
(aus dem Blog meyerbuch)

2 Kommentare:

T. Glöß hat gesagt…

Lieber Rainer Friedrich Meyer,
da stimme ich Ihnen voll und ganz zu, oft werden wissenschaftliche "Fakten" kritiklos übernommen. Der Mythos vom Aldusblatt gehört in diese Reihe und was dazu bei Wikipedia steht, ist in der Tat Unfug.
Es stimmt ebenfalls nicht, dass die sogenannten Aldusblätter im Buchdruck als Alineazeichen für den Beginn einer neuen Zeile genutzt wurden. Zumindest im frühen Buchdruck dienten sie nach dem Vorbild römischer Inschriften als Einfassung eines Textes oder einzelnen Wortes, z. B. in Konrad Peutingres Druck "Romanae vetustatis fragmenta in Augusta vindelicorum", Augsburg 1505.
Zu der Verwendung des Aldusblattes auf Originaleinbänden der Werkstatt von Manutius muss gesagt werden, dass es diese gab. Jenseites der These vom einheitlichen Aldinischen Originaleinband fanden Aldusblätter in Form von blindgeprägten Einzelstempeln auf einzelnen Aldinischen Originaleinbänden Verwendung. Die deutschen Buchbinder Kaspar Kraft d. Ä. ab 1521 sowie Balthasar und Bartholomaeus Ziehenaus ab 1552 nutzten sie; Beispiele in: "Im Zeichen von Anker und Delphin", Faber & Faber 2005, Abb. S. 115, 161. Vielleicht leitet sich ja daher der Begriff Aldusblatt ab.
Mit vielen Grüßen
Dr. Thomas Glöß

Anonym hat gesagt…

Sehr geehrter Herr Glöß,
wie ich unter "Originaleinband" im BWB schreibe:
„So far as we can judge no bookbinder was employed during the elder Aldus's lifetime, or at least none that produced tooled leather covers.“. (Anthony Hobson: Was there an Aldine Bindery? In: Aldus Manutius and Renaissance Culture. Essays in Memory of Franklin D. Murphy. Edited by David S. Zeidberg. Florence: Leo S. Olschki, 1998. p. 245.) Hingegen wurde der "Mendoza Buchbinder" von Andrea Torresano etwa 1519-1529, dann von den Geschäftspartnern Manuzio-Torresano und schließlich 1539-1540 von Gianfrancesco und Federico Torresano beschäftigt.
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Siehe auch "Jean Picard" im BWB.
Dies ist meines Wissens der derzeitige Stand der Forschung.
Freundliche Grüße,
RF Meyer